Das Aus der Mainzer Bauschuttdeponie ist realistisch. Doch noch muss der Stadtrat entscheiden. Ein Paar erzählt, warum die Pläne anfangs nicht verunsichert haben. Später durchaus.
Von Carina Schmidt
Lokalredakteurin Mainz
MAINZ - Die Erleichterung war für Familie Siepchen riesig. Gerade hatte im Wohngebiet die Nachricht die Runde gemacht, dass im Laubenheimer Steinbruch sehr wahrscheinlich doch keine Bauschuttdeponie errichtet wird. „Dann können wir ja jetzt
draußen das Schild gegen die Deponie abhängen“, schlug der achtjährige Paul seinen Eltern Benedict und Cornelia vor. Wie berichtet, hatte Umweltdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) vergangene
Woche mitgeteilt, dass sie dem Stadtrat empfehlen werde, das 2015 beschlossene Deponie-Projekt zu beenden. Als Gründe nannte sie steigende Kosten und neue Möglichkeiten für die Entsorgung des
Mainzer Bauschuttes in Wiesbaden und Framersheim. Cornelia Siepchen drückt bei aller Freude über diese Empfehlung aber noch auf die Bremse: „Ein bisschen Angst vor der Kehrtwende der Politik ist
immer noch da.“
Verfüllung
- 2015 beschloss der Mainzer Stadtrat, den Laubenheimer Steinbruch mit Erdaushub der Deponieklassen (DK) I und II zu verfüllen.
- Böden bestehen aus Mineralien und organischen Bestandteilen.
- Sie sind in der Regel unbelastet, können aber auch Stoffe wie Mineralölkohlenwasserstoffe oder Schwermetalle (unterhalb von alten Tankstellen oder Industriestandorten) enthalten.
Das Ehepaar Siepchen gehört nicht zu den Mitstreitern der Bürgerinitiative (BI) „Mainz 21 – Nein zur Mülldeponie in Mainz“. „Anfangs haben wir die Szenarien, die die BI gezeichnet hat, gar nicht
ernstgenommen“, verrät Benedict Siepchen. Das habe sich im Laufe der Jahre aber geändert. 2008 kaufte das Paar von der stadtnahen Grundstücksverwaltungsgesellschaft der Stadt Mainz (GVG) sein
Grundstück am Großberg. Inzwischen sind die Lehrerin und der Ingenieur beide 44 Jahre alt und haben drei Söhne. Auf dem Werbeflyer der GVG stand zur Lage der Wohnsiedlung damals: „Im Osten liegt
der Steinbruch Laubenheim-Nord, der künftig als Naherholungsfläche rekultiviert wird.“ Das klang verlockend.
Auf Fragen der Bevölkerung nicht eingegangen
Auf den Gedanken, dass im Steinbruch vor dem Rekultivierungsvorhaben eine Deponie errichtet werden könnte, wären sie im Traum nicht gekommen. Und doch waren sie anfangs keine Gegner des
Vorhabens. „Damals dachte ich: Wenn die Stadt so etwas plant, dann wird das schon mit rechten Dingen zugehen“, erzählt Benedict Siepchen. Aus der Presse erfuhren sie von einem Informationstermin
des Entsorgungsbetriebs über die geplante Deponie. „Da wurden uns dann die Pläne vorgestellt und das hat sich alles solide angehört“, sagt Cornelia Siepchen. Bei einer weiteren Veranstaltung der
Verwaltung sei das Kommunikationsverhalten der Mitarbeiter des Entsorgungsbetriebs jedoch nicht vertrauenswürdig gewesen. „Teilweise wurde auf Fragen und Ängste gar nicht richtig eingegangen.“
Um sich ein umfassendes Bild zu machen, besuchte das Weisenauer Paar auch Veranstaltungen der BI. Dabei sei ihnen erst bewusst geworden, welche Abfälle genau in der Deponie hätten landen können –
nämlich der Deponieklassen I und II (siehe Infokasten). Besonders stutzig habe sie gemacht, dass im sogenannten Abfallschlüssel etwa Produkte aus dem Bergbau aufgeführt wurden. Und das, obwohl
Stadt sowie Entsorgungsbetrieb immer das Argument von einer „ortsnahen Entsorgung“ des eigenen Bauschutts ins Feld geführt hatten. Auch das Thema der anfallenden Stäube hat die Siepchens
verunsichert. „Selbst die Deponiearbeiter sollten in Fahrzeugen mit eigener Luftversorgung arbeiten, um nicht gefährdet zu werden“, erfuhr Benedict Siepchen beim Planfeststellungsverfahren 2019.
Strenge Schutzvorkehrungen also – rund 300 Meter vom heimischen Garten entfernt, in dem seine Söhne regelmäßig spielen.
Planung war bereits fertig
„Wenn ich die Informationen von beiden Seiten vergleiche, dann habe ich mich von der BI deutlich besser informiert gefühlt“, bilanziert Cornelia Siepchen. Grundsätzlich wertschätze sie, dass sich
Entsorgungsbetrieb und Stadt der Konfrontation gestellt hatten. „Bei allen Veranstaltungen hatte ich jedoch nie den Eindruck, dass es um Bürgerbeteiligung ging, sondern nur um Bürgerinformation.
Zwar konnten Fragen gestellt werden. Aber es gab keine Möglichkeit, Ideen einzubringen. Wir wurden ja mit einer fertigen Planung konfrontiert.“
Diese Wahrnehmung hat auch Ortsvorsteher Ralf Kehrein. Schlimmer noch, sagt er: „Durch anfangs deutlich harmlosere Beschreibungen des Vorhabens wurde das Vertrauen verspielt.“ Als ihm mit seinem
Laubenheimer Amtskollegen Gerhard Strotkötter (beide SPD) zum ersten Mal das Projekt vorgestellt wurde, habe es noch geheißen: „Bauschutt wie Badezimmerfliesen könnten in der Deponie landen.“ Als
sich dann herausstellte, dass auf der Liste auch Abfall von belasteten Orten wie alten Tankstellen stand, da habe er sich verschaukelt gefühlt.
Bürger haben eigene Ideen für Weisenau
Um Fronten gar nicht erst entstehen zu lassen, wünsche er sich für die Zukunft, dass die Verwaltung die Bürgerbeteiligung grundsätzlich frühzeitig und offen kultiviere, sagt Kehrein: „Bei der
Mainzelbahn ist das doch auch gelungen. Der Widerstand war überschaubar.“
Das Ehepaar Siepchen hat für einen Neustart in Weisenau auch schon eine konkrete Idee. 10 bis 15 Jahre soll es noch dauern, bis der Steinbruch rekultiviert wird – das hatte Umweltdezernentin
Steinkrüger jüngst angekündigt. „Zeit genug, um unsere Ideen anzuhören. Und um sie gegebenenfalls einzuarbeiten“, sagt Cornelia Siepchen. Beispielsweise wünscht sie sich parallel zur A 60 eine
bessere Radverbindung nach Hessen, um öfters mit dem E-Bike zur Arbeit zu pendeln
Quelle: Allgemeine Zeitung Online / 23.04.22
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